Woche 11 - Essen verbindet

Als wir vor 11 Wochen losgefahren sind, hatten wir erwartet, dass wir dieses Jahr unsere erste Weihnachtszeit ohne viel Süßkram, Festessen und übermäßiges Sättegefühl verbringen würden. Und als wir uns in Prag Baumstrietzel gegönnt haben, konnten wir ihn bestimmt deshalb noch mehr genießen, weil wir irgendwo dachten: "Wer weiß, wann wir sowas wieder haben..".


Tja. Falsch gedacht.


Das Essen ist in der arabischen Kultur eine Welt für sich. Jeden Tag betreten wir sie und staunen wieder und wieder. Wer schon mal eine originale Falafel gegessen hat, weiß wovon wir sprechen. Aber auch bei ganz gewöhnlichem Reis mit Gemüse wird hier so gezaubert, dass man sich am liebsten reinlegen möchte. Diätisch ist der ganze Spaß meistens aber nicht.  Öl gehört definitiv zu den Lieblingszutaten. Das musste ich feststellen, als ich diese Woche begann, die Rezepte der Gerichte zusammenzusammeln, die wir beim arabischen Potluck (Woche 9) geboten bekamen. Allein beim Niederschreiben der Zutaten lief mir schon das Wasser im Mund zusammen. Dass der Syrer sein Essen liebt, kann man ihm also nicht verdenken. Das gilt ja für manchen Deutschen auch, wenn er seine Rouladen mit Rotkohl vor sich hat. Ein großer Unterschied zu ihm liegt aber in der Gastfreundschaft und dem Bedürfnis, sein Haus (bzw Raum) und Essen mit anderen zu teilen. Fast täglich finden wir uns in einem Zimmer wieder und auch wenn wir gar nicht zum Essen kommen wollten, steht plötzlich ein gut gefüllter Teller vor uns. Wenn man allerdings höflich versucht auszudrücken, dass man nicht hungrig ist, greift schnell die Regel Nummer eins, die einmal recht prägnant formuliert wurde: „If you don’t eat my food, you don’t love me.“. Ein „Nein, Danke“ wird also nicht akzeptiert und seitdem ich meinen Deutschschülerinnen naiv und ohne nachzudenken den Imperativ von essen verraten habe, hat sich die Situation nicht gerade vereinfacht. So wurde auch mein Versuch, das Prinzip Vegetarier zu erklären, von allgemeinem „Iss! Iss!“ unterbrochen. Wenn man dann aber auf dem Teppichboden im Kreis sitzt und die dampfenden Köstlichkeiten vor sich stehen hat, versteht man genau, warum das Essen so eine wichtige Rolle spielt: Alle kommen zusammen, die Familie, Kinder, Gäste. Man redet und lacht. Man genießt und lobt. Das Essen verbindet. Und ist damit mehr als nur ein Überlebensmittel.

Mit diesem Gedanken fuhr ich letzte Woche zu einer der großen Lagerhallen Thessalonikis, in der die Organisation „Soulfood kitchen“ tätig ist. Diese Lagerhallen, genannt warehouses, liegen außerhalb der Stadt und werden vor allem dazu genutzt, die Berge an Sachspenden zu lagern, zu sortieren und an Organisationen aufzuteilen. Allerdings eignen sie sich durch ihre Größe und Lage neben handwerklichem Gebastel und Gebaue auch für den Standort einer Küche. In dieser werden seit ein paar Monaten von einem kleinen Team große Mengen an warmen Essen zubereitet, was dann in der Stadt an obdachlose Flüchtlinge verteilt wird. Die Idee hatte ein junges Ehepaar, was ich am Dienstagmorgen um 10 Uhr draußen vor der Küche antraf. Noch mit einem anderen älteren Herrn, der sich in breitem Kölsch vorstellte, saßen sie an einem kleinen Feuer und schälten schwindelerregende Mengen an Knoblauch. Im Hintergrund erahnte ich schon passend große Töpfe und Kisten mit verschiedenem Gemüse. Schnell wurde ich eingewiesen und verbrachte den Vormittag damit, 20 Salatköpfe, 50 Paprikas, 5 Blumenkohlköpfe und gefühlt 5 Kilo Dill zu schneiden und verarbeitete damit die Zutaten, die an dem Tag an Spenden zu Verfügung standen. Um das also noch einmal hervorzuheben: Es gibt tatsächlich Menschen, die 5 Kilo Dill spenden.
In einem der badewannengroßen Töpfe begann Annja, die Gründerin von Soulfood, gekonnt die Gemüseberge anzubraten. Zu diesem Zeitpunkt waren schon fünf weitere Freiwillige angekommen und hatten Kartoffeln und Tomaten so geschnippelt, dass sie im Topf zu einem der Gerichte verarbeitet werden konnte, die mir aus Elpida gut bekannt waren. Warum das kein Zufall war, erklärte mir Annja, die, bevor sie nach Griechenland gekommen war, Anthropologie und Völkerkunde studiert hatte. Als sie danach in der Flüchtlingsarbeit aktiv wurde und bald bemerkte, dass den auf der Straße lebenden Menschen Essen angeboten wurde, mit dem sie aufgrund der Zutaten und Zubereitung nichts anfangen konnte, entschloss sie sich dazu, ihnen die Gerichte zu kochen, die sie kannten und vertrugen. Dem wohlbekannten Geruch zu folge, der bald darauf den kleinen Raum erfüllte, hatte sie dabei die richtigen Quellen gehabt. Und wie sie unauffällig den Dill losgeworden war, ist mir entgangen.

Als sowohl der Salat, das warme Kartoffelgericht, als auch ein duftender, dampfender Tee fertig waren, verteilten wir alles in Alukechelchen und verstauten sie im Transporter. Der Tee, der noch einmal abgeschmeckt und wegen den arabischen Zuckermaßstäben noch mit zwei weiteren Kilo Zucker angereichert wurde (ich übertreibe nicht!), wurde in einer extra dafür angefertigten Konstruktion in ein Gefäß umgefüllt, von dem aus man es direkt in Becher zapfen konnte. Dann stieg ich mit zwei Freiwilligen ins Auto, während die anderen schon damit begannen, das nächste Gericht zum Abendessen vorzubereiten. In der Stadt angekommen, fuhren wir verschiedene Plätze ab, bei denen der Erfahrung nach Obdachlose leben. An Spielplätzen, leerstehenden Häusern und Parks warteten meist schon kleine Grüppchen auf das Mittagessen. Die Namen der anderen beiden Mädels kannten sie, scherzten mit uns und bedankten sich in verschiedenen Sprachen, als wir ihnen die warmen Schalen gaben. Viel türkisch und persisch war darunter und auch griechisch war dabei, aber wenig arabisch. Denn diejenigen, die gerade aus Syrien oder dem Irak fliehen, können sich registrieren lassen und kommen in Camps unter, weil sie eine große Chance auf Asyl haben. Da zum Beispiel der Iran aber zurzeit ein „sicheres Land“ ist, würden Iraner ohne Umwege wieder zurückgeschickt werden.
Insgesamt gaben wir an diesem Mittag nur ungefähr 50 Mahlzeiten aus, obwohl wir die dreifache Menge dabei hatten. Die Zahl der Menschen schwankt immer, und jetzt, wo sich auch in Griechenland ein kalter Winter ankündigt, vermeiden möglichst viele das Leben auf der Straße, auch wenn das manchmal die Rückkehr ins Heimatland bedeutet. Zur zweiten Runde am Abend war ich nicht mehr dabei, weil ich wieder nach Elpida fuhr.
Als ich dort ankam, wurde ich von zwei meiner Deutschschülerinnen empfangen. Weil ich durch meine eingeschnappten Nebenhölen das ganze Wochenende gefehlt hatte, kamen sie in großer Wiedersehensfreude auf mich zu und drängten mich in ihr Zimmer zum (drei mal dürft ihr raten) gemeinsamen Abendessen. Und da saß ich wieder auf dem Teppichboden umringt von arabischer Sprache und Speise, nagte wie selbstverständlich an meinem Hühnchenbein und schüttelte lächelnd den Kopf über den Verlauf dieser Adventszeit.