Woche 3 - Welcome, my Frieeend!

Habibis, wir haben es geschafft!

Den Prolog haben wir nun abgeschlossen und mit unserer Ankunft in Thessaloniki vor einer Woche hat das Herzstück unserer Reise begonnen. Empfangen wurden wir hier letzten Mittwoch von der Familie Miras Patentante Amélie, deren Mann Michael seit einem Jahr an der deutschen Schule unterrichtet. Mit eigenem Zimmer, Stadtführung, gemeinsamen Essen, vielen Gesprächen und unerschöpflicher Gastfreundschaft haben sie uns wie zu Hause aufgenommen und uns den Start in den neuen Alltag deutlich erleichtert. So konnten wir uns auch direkt in den ersten Tagen mit der Stadt vertraut machen, die uns überraschenderweise mit unzähligen, gut besuchten Cafés, Tavernen und Restaurants empfing und auf den ersten Blick nichts von einer Krise erkennen ließ. Erste Anzeichen zeigen sich erst jetzt: die Fahrer der Stadtbusse, auf die ein Großteil der Stadtbevölkerung angewiesen ist, drohen regelmäßig mit Streiks, da sie seit Juli auf ihre Gehälter warten.

 

 

Aber warum sind wir überhaupt in Thessaloniki?

 

 

Noch bevor wir unsere Rucksäcke gepackt haben, begann schon unsere Recherche und Planung, mit wem, wie und wo wir in der Flüchtlingshilfe tätig werden könnten. Für Ärzte ohne Grenzen oder ähnliche namenhafte Hilfsorganisationen braucht man leider meistens ein abgeschlossenes Medizinstudium und jahrelange Berufserfahrung in Kriegsgebieten, womit wir bislang noch nicht dienen können. Glücklicherweise werden aber momentan nicht nur todesmutige Lebensretter benötigt, sondern auch so Leute wie wir.

 

Fündig wurden wir auf Facebook, wo sich eine Reihe an NGOs öffentlich präsentiert und neben Bildern und Informationstexten auch Onlinebewerbungen anbietet. Ziemlich schnell konnte uns beim Gucken, Suchen und Vergleichen die Organisation „Together for Better Days“ überzeugen – eine Organisation, die in den Camps von Idomeni von Freiwilligen gegründet wurde und mittlerweile in der Unterkunft „Elpida“ (griechisch: Hoffnung) tätig ist. "Elpida" entstand, als das Riesencamp in Idomeni aufgelöst wurde. Zwei amerikanische Millionäre suchten Freiwillige vor Ort, die ihre Spenden in einem neuen Projekt verwenden könnten. Die "Together for Better Days"-Urgesteine hatte schon seit Längerem damit geliebäugelt, ein eigenes Camp zu bauen. So trafen zwei Interessengruppen mit den besten Voraussetzungen aufeinander: sie bauten in einer alten Jeansfabrik ein Camp auf, mit dem sie der griechischen und allen anderen europäischen Regierungen beweisen konnten, dass menschliche Grundbedürfnisse in kürzester Zeit und mit deutlich geringerem Kostenaufwand als bisher befriedigt werden können. Und mehr noch: "Together for Better Days" möchte nicht nur, dass die Campbewohner schlafen, essen und duschen können, sie legten auch von Anfang an großen Wert auf die Selbstständigkeit und -verantwortung der geflüchteten Menschen. Alle Informationen um und über "Elpida" und "Together for Better Days" findet ihr auf ihrer Homepage:

 

 

Was hatten wir nach diesen Eckdaten erwartet?

 

Zumindest keinen buntenbemalten Freiwilligenraum mit Kaffee, Tee, Essen, Einhörnern an der Wand und süßen Menschen auf den selbstgezimmerten Bänken. Eben jenen betraten wir aber staunend am Samstag auf dem Weg zum ersten Orientierungstreffen. Eine obligatorische halbe Stunde später (in der Hinsicht sind doch irgendwie alle Freiwilligenorgas gleich) begann eines der Urgesteine, Ayesha from Scotland (den Namen konnte sie auch nicht erklären, er macht sich aber in dem Rahmen hervorragend), uns in die Arbeit einzuführen.

 

Die Führung über das Gelände zeigte, dass eigentlich Kapazitäten für 600 anstatt der momentanen 200 Bewohner vorhanden sind. "Together for Better Days" kann aber solange nicht mit dem Ausbau der unteren Hallen beginnen, bis er von den griechischen Behörden genehmigt wird. Und das kann dauern. Der griechische Staat möchte dem Rest Europas ganz offensichtlich zeigen, dass er eben nicht den Andrang von Menschen stämmen kann, und trödelt, was das Zeug hält. Aus der Erfahrung der letzten Jahre ist bekannt, dass, sobald sich eine Verbesserung in den griechischen Camps herumgesprochen hat, die so gefürchteten "Flüchtlingsströme" aus der Türkei zunehmen. Und daran hat die griechische Regierung definitiv kein Interesse. Was wir zwar angesichts der Situation im Land verstehen können - aber der Anblick der leeren Hallen ist nur schwer zu ertragen.

In dem Geschoss allerdings, das ausgebaut ist, hat jede Familie ein eigenes Zimmer, einen festen Platz in der Gemeinschaftsküche und Zugang zu den geteilten Badezimmern. Darüber hinaus gibt es zwei Klassenzimmer, jeweils einen großen Raum nur für die Männer und Frauen und einen kleinen Spielplatz.

 

 

So kommt es, dass die Stimmung auf den Fluren erstaunlich ausgelassen erscheint. Was bedeutet das? „erscheint“ deshalb, weil es eine zweite Welt innerhalb der Zimmer gibt, in denen die oft traumatisierten, schwer depressiven Familienmitglieder kaum aus den Betten kommen. Und „ausgelassen“ liegt an der hohen Anzahl der Kinder, die hier etwa die Hälfte der Bewohner ausmachen und oft in kleinen Grüppchen herumziehen und spielen. Dass sich nicht immer jemand um sie kümmert, lässt sich leicht erklären: viele Familien ziehen ihren Männern/ Vätern/ Söhnen/ Brüdern hinterher, was bedeutet, dass Frauen mit fünf bis sieben Kindern hier keine Seltenheit sind. Doch seit dieser Woche gehen die Kinder in eine griechische Schule und erhalten dort Griechisch-, Englisch- und Matheunterricht, was die Nachmittage angenehm ruhig macht.

 

So viel zu den Umständen – aber was machen wir beiden jetzt konkret? Zunächst müssen natürlich Aufgaben erledigt werden, die eher notwendig als sonderlich geistig fordernd sind. Da unser französischer Freund Souen (s. Woche 1) findet, dass Listen eine der grundlegendsten Erfindungen der letzten 2000 Jahre sind, legen wir hier für euch eine an:

 

1. Überwachen der Gemeinschaftsküche

 

Im Prinzip geht es darum, kleinen, kreischenden Kindern den Weg in die Küche zu blockieren, um fiese Ölverbrennungen zu verhindern (was bei der Frittierfreude der syrischen Küche durchaus eine Gefahr darstellt). Jeweils drei Familien teilen sich eine ziemlich gut ausgestattete Küchenstelle und die Stimmung entspricht dem buntesten Klischee arabischer Ausgelassenheit, das ihr euch vorstellen könnt. Sobald man einmal herausgefunden hat, wie gerne die kochenden Mamas großzügige Kostproben ausgeben, versteht man die Beliebtheit dieses Jobs und tritt den allmorgendlichen Kampf bei der Aufgabenverteilung gerne an.

 

 

2. Info-Point

 

Kind 1:   My frieeeeend, my frieeeeend, want new ball!

 

Wir:      Ok, do you have your card?

 

Kind 1:   My friend!

 

Wir:      Your card!

 

Kind 1:   Upstairs! I get later.

 

Wir:      Nope. No card, no ball.

 

Kind 1:   My frieeeeend!!

 

Wir:      Get your card! Yalla!

 

Kind 2:   Ball!

 

Wir:      Card!

 

Kind 2:   Basketball!

 

Wir:      Here you go.

 

Kind 2:   No! Football!

 

Kind 1:   My frieeend, card! Give me ball!

 

Kind 3:   New puzzle!

 

Kind 1:   My frieeeeend!

 

 

Natürlich kommen auch Erwachsene zum Info-Point, um neue Windeln, Zucker oder Shampoo abzuholen, aber an sich ist der Job sehr, sehr kinderlastig und teilweise nervenaufreibend. Die arabischen Wörter für „nein“ und „runter“ gehen auf jeden Fall schon gut von den Lippen.

 

 

3. Kleiderausgabe

 

Wie gesagt, liegt es „Together for Better Days“ besonders am Herzen, den Bewohnern so viel Freiraum und Normalität wie möglich zu bieten. Daher werden die Kleiderspenden nicht einfach zugeteilt, sondern wie in einem kleinen Laden ausgestellt. Die Bewohner kommen Familie für Familie in den „Laden“ und können sich nach Herzenslust durch die Kleider probieren, bis sie sich ein oder an manchen Tagen zwei Stücke herausgesucht haben. Das gibt viel Gekicher und große Dankbarkeit, sodass wir die Arbeit unfassbar genießen.

 

 

 

Wenn wir abends nach Hause fahren, sind wir aufgedreht, tief zufrieden, völlig erledigt und voller kleiner Geschichten vom Tag. Noch sind wir nicht lang genug hier, um Berührungspunkte mit den einzelnen, oft grausamen Schicksalen der Bewohner zu haben, und so fallen wir abends nach einem gemütlichen Tagesausklang mit Amélie und Michael sofort in unsere Betten. Wie sich unser Kontakt weiter entwickelt und was wir beim Deutsch- und Englischunterricht, den wir seit gestern täglich geben dürfen, erleben, berichten wir, inshallah, nächste Woche.