Woche 8 - it's only money

Schlagartig herscht Stille in der Voulunteers-Lounge. Die Blicke sind starr, die Körper angespannt. Nach einigen Sekunden fangen Finger und Arme in den ungewohnten Positionen an zu zittern. Und dann, genauso plötzlich, wie die Stille eingesetzt hatte, brechen alle wieder in Gejubel und Tanzen aus. Die Kerzen auf dem Kuchen flackern wild, bevor dieser angeschnitten und innerhalb von Minuten gemeinschaftlich vernichtet wird.

 

 

 

"Together for Better Days" hat diese Woche seinen einjährigen Geburtstag gefeiert! Damit einher gingen kleine Aktionen wie der Dreh der sogenannten "Mannequin Challenge", der zu dieser sportlichen Szene führte. Oder das Malen von vielen bunten Schildern, Gruppenfotos, Geburtstagskuchenbacken, gemeinsames Essengehen. Und es wurde wie wild das gefeiert, was alle zusammen innerhalb dieses Jahres geschafft haben.

 

Und mittlerweile wissen wir, wie anders die Situation aussehen kann. Dramatisch anders.

 

 

 

Vor dem umzäunten Fabrikgebäude treffen wir am Mittwochvormittag nach ca. einer Dreiviertelstunde Fahrt einen jungen Mann an, einen Bewohner des Camps. Sein Alter ist schwer einzuschätzen. Vielleicht so um die 30. Schnell kommen wir ins Gespräch und erfragen, wie die Situation im Camp aussieht. Gerade hat er mit seiner Familie in Syrien telefoniert, erzählt er uns, und ihnen gesagt, dass alles gut laufen würde. Um ihnen die Sorgen um ihren Sohn zuersparen. Denn wenn er die Wahrheit gesagt hätte, hätte er zum Beispiel erzählen müssen, dass es kein warmes Wasser gibt. Mittlerweile ist auch in Griechenland zwar sonniger, aber eisiger Winter eingebrochen. Bei 5 Grad eine kalte Dusche zu nehmen, ist also die einzige Möglichkeit, für seine Hygiene zu sorgen. Oder er hätte ihnen erzählen müssen, dass er in den letzten Wochen nachts eigentlich nicht schlafen konnte. Bis in die frühen Morgenstunden sind aus den Nachbarzelten laute Musik, Videotöne und angeregte Gespräche zu hören. Wenn diese verstummen und man sich dankbar das x-te mal umdreht, wachen die ersten Kinder auf, laufen herum, spielen, kreischen. Dass es nun immer länger dunkel ist, verbessert die nächtliche Ruhe aber maßgeblich, denn die spärrliche Elektriziät reicht nicht für richtige Beleuchtung aus. Das alles erzählt er uns, als er neben uns auf dem sonnigen Vorplatz des Camps sitzt. In unserem Blickfeld direkt neben dem Eingang steht ein großes Schild. Darauf prangt in großen Buchstaben, wie viele Millionen Euro der Griechische Staat mit Unterstützung der EU schon in dieses Camp investiert hat. Warum nicht in warmes Wasser oder Elektrizität? Das kann er uns auch nicht sagen. Genau so wenig, wo das Geld stattdessen ist. Er ist frustriert und enttäuscht von den Organisationen, die hier vertreten sind. Auf die kann er sich nicht verlassen, sagt er. Die Kontakte, von denen, die Unterricht brauchen, und denen, die ihn geben, verbindet er und zwar unabhängig von den offiziellen Mitspielern.

 

 

 

Mit mulmigem Gefühl stehen wir auf, um einen Blick in das Gebäude zu werfen. Bevor wir durch die Lücke im Zaun gehen, fragen wir unseren neuen Bekannten noch nach seinem Alter: gerade ist er 20 Jahre alt geworden. Als hätte er mit Alina Abitur gemacht.

 

 

 

In die umfunktionierte Fabrikhalle zu gelangen, ist denkbar einfach. Am langen Zaun entlang gehen wir an trocknender Wäsche und Dixi-Klos vorbei. Auf Höhe unserer Knie beginnt eine Reihe offener Fenster. Gebückt steigen wir hinein und ohne, dass es jemanden stören würde, stehen wir in einer unübersichtlich großen Halle, in dem von überall her Stimmengewirr zu hören ist. Wir schlängeln uns durch die Zeltreihen, bis wir auf einen größeren "Weg" stoßen. An der Ecke ist ein Stand aufgebaut mit verschiedensten Waren, von Tomaten bis Feuerzeugen, die zum Verkauf stehen. Neugierige Blicke folgen uns, Kinder rennen vorbei und rufen laut "Hellooo!". Wir fallen offensichtlich auf. Die Freiwillige, die sich hier schon auskennt, führt uns zur Schule und macht uns mit dem müde aussehenden Bewohner bekannt, der für die Unterrichtskoordination zuständig ist. Englischlehrer braucht er keine mehr, an Deutschunterricht ist er schon mehr interressiert und fragt nach uns nach unserer Nummer, um bei Bedarf Kontakt zu uns aufnehmen zu können. Dann verabschiedet er sich, nicht ohne uns vorher einen Tee anzubieten, um sich um seine Schüler zu kümmern. Als ich mir sein WhatsApp-Profilbild ansehe, schaut mich aus meinem Handy ein junger Mann in gepflegter Kleidung an, der in einer Bibliothek steht und ein offenes Buch in der Hand hält. Der Kontrast könnte in dem Moment kaum größer sein.

 

 

 

 

 

 

 

Wir wollen eigentlich wieder rausgehen. Es fühlt sich komisch an, hier zu sein, zu sehr nach einem Zoobesuch. Auf dem Weg zu unserem Fenster werden wir aber so oft freundlich auf Tee und Kaffee eingeladen, dass wir bald aufgeben und uns zu einer Familie setzen. Schnell stellen sie uns Tee und Brot bereit und unser Gespräch mit Händen, Füßen und den kleinen Brocken der jeweils anderen Sprache beginnt. Die Stimmung hier am Tisch ist nicht anders, als die, die wir aus unserem Camp kennen. Wir lachen gemeinsam über irgendwelche Blödeleien und hören im nächsten Moment, dass der einzige Kontakt zum ältesten Sohn nur noch sporadisch über das Handy möglich ist. Dann erzählt wieder jemand eine lustige Anekdote. Als wir schließlich aufbrechen und uns verabschieden, fällt es unerwartet schwer. Die Frau, neben der wir saßen, nimmt uns in die Arme, reicht uns die Hand und schaut uns halb liebevoll, halb hilflos an, so dass man ihre Hand einfach nicht loslassen möchte. Auch wenn sie es wahrscheinlich nicht versteht, sagen wir ihr, dass wir bald wiederkommen wollen, dann steigen wir hinaus in die helle, sonnige Außenwelt.

 

 

 

 

 

 

Auch jetzt noch, ein paar Tage später, wissen wir noch nicht genau, wie wir mit diesem Erlebnis umgehen sollen. Wie können wir in dieser Situation sinnvoll helfen? Mit dem, was am Nötigsten ist, nämlich heißem Wasser und Elektrizität, können wir nicht dienen. Dafür fehlen uns die Millionen, die aber scheinbar schon in das Camp geflossen sein sollen. Für Unterricht ist gesorgt, ebenso für Essen und Kleider. Was fehlt, ist eine Organisation, die mit den Bewohnern im Kontakt steht, auf ihre Bedürfnisse eingeht und dann Geld gezielt einsetzt. Ungefähr das also, was wir von "Together for Better Days" kennengelernt haben.

 

 

 

Und jetzt sind wir wohl an den Punkt gekommen, wo wir auf die Spendenmöglichkeiten aufmerksam wollen. War ja klar, irgendwann musste es ja passieren. Mittlerweile haben wir genug von dem geschwärmt, was wir bei "Together for Better Days" erlebt haben, als dass wir es euch nochmal ausführlich berichten müssten. Auch, dass es ab Anfang Dezember eine Arbeitspause geben wird, in der neue Ideen und Pläne für ein nächstes Projekt geschmiedet werden, müsste dem aufmerksamen Leser bekannt sein. Und auf dieses nächste Projekt wollen wir gerne hinweisen. Noch ist nicht klar, was es sein wird. Vielleicht soll ein weiteres Camp in Griechenland aufgebaut werden. Vielleicht sollen in westeuropäischen Ländern Aktionen für verbesserte Integration gestartet werden. Vielleicht werden Freiwillige durch Schulen laufen und Schülerinnen und Schüler auf die Situation hier in Griechenland aufmerksam machen. Wofür sich das Team auch immer entscheiden wird - klar ist, dass solche Projekte Geld kosten. "Ja ja", hören wir euch jetzt sagen, "Geld brauchen doch alle! Warum sollten wir denn jetzt genau DENEN was spenden? Nur weil ihr die kennt?". Gutes Argument. Ja, weil wir sie kennen. Auch in das Camp, das wir besucht haben, wurde anscheinend Geld gesteckt, aber davon sehen konnten wir nichts. Bei "Together for Better Days" sind wir uns aber sicher, dass das Geld genau da ankommt, wo es hingehört. (Und nein, selbst wir wurden für diese exzellente Werbecampagne leider nicht bezahlt..). Man stelle sich vor, wie viel es gekostet hat, in eine leere Fabrikhalle Wohnräume, Toiletten mit Wasserzugang und Küchen zu bauen. Was man dazu erwähnen muss, ist, dass "Together for Better Days" erst am Tag der Öffnung von Elpida bekannt geben konnte, woran sie die letzten Monate gearbeitet hatten. Ansonsten hätten schon Wochen vorher geflüchtete Menschen am Zaun Schlange gestanden und auf Einlass gehofft. Den Spendern war also nicht klar, wofür sie spendeten, bis das Camp dann stand. Und haben damit genau die Heldentat vollbracht, mit der ihr uns sehr glücklich machen würdet.

 

 

 

Das Spenden geht denkbar einfach! Es dauert keine fünf Minuten und tut nicht weh. Außerdem kann man sich auf der Seite schöne Bilder und Filmchen angucken. Lohnt sich also!

 

Die Bedeutung von Geld ist uns übrigens gerade gestern hautnah vor Augen geführt worden, als uns im vollkommen überfüllten Bus zum Camp das Portemonaie geklaut wurde. Blöde Sache, vor allem dann, wenn fremde Menschen im Bus hämisch kommentieren "Tjaa, für nächstes Mal wisst ihr jetzt Bescheid..". Umso schöner ist es, wenn man im Camp ankommt und von allen Seiten Hilfe angeboten bekommt. Freiwillige und Bewohner boten uns Geld an, kleine syrische Kinder steckten uns 50-Cent-Münzen zu, ein griechische Freiwilliger fuhr uns zur Polizei und übernahm die Kommunikation. Griechische Polizeistationen würden übrigens noch einen eigenen Blogeintrag verdienen, aber wir beschränken uns mal auf die Beschreibung, dass man sich dort eher wie in einem privaten Wohnzimmer als in einem offiziellen Büro fühlt. Jetzt warten wir und hoffen, zumindest die gesperrten Karten und Persos wieder zu bekommen. But it's only money.