Woche 4 - New home

"Aaaawwww,  beeeautiful!!"

 

Die Frauen sind hellauf begeistert von ihrem Werk. Tatsächlich hält das Tuch den Kopf gut warm und es fühlt sich an, als schaue man aus einem weichen Aquarium in die Welt hinaus. Als wir durch den Flur laufen, reagieren die Campbewohner sehr unterschiedlich auf unsere Kopftücher. Die Kinder kreischen begeistert und schreien „Muslima! Muslima!“, die meisten Männer sind unentschlossen und wissen nicht recht, ob wir uns über sie lustig machen, und die jungen Mädchen jammern über unsere versteckten Haare. Am Ende des Tages bindet eine von ihnen unsere Kopftücher ab und streicht unsere Haare wieder zu recht. Schade eigentlich – wir waren schon gespannt auf die Busfahrt durch das nächtliche Thessaloniki im neuen Gewand.

Wir blicken jetzt zurück auf eineinhalb Wochen Arbeit im Camp und finden es völlig unvorstellbar, wie gewohnt die Umgebung und die Menschen inzwischen sind. Mit größerer Routine kommt bei „Together for Better Days“ auch recht schnell größere Verantwortung und so wird zum Beispiel die Organisation der Kleiderverteilung gerne mal an uns übergeben. Diese Arbeit gehört nach wie vor zu den Vergnüglichsten und bringt Freiwillige und Campbewohner, wie das Beispiel eingangs zeigt, sehr schnell in Kontakt auf Augenhöhe. Diese Balance des Gebens und Nehmens ist in der Freiwilligenarbeit definitiv nicht einfach. Für die Campbewohner, die vor dem Krieg einen zum Teil deutlich wohlhabenderen Lebensstil genossen haben, als man ihn im Camp ermöglichen kann, ist es natürlich eine immense Herausforderung, sich von uns jungen Mädels sagen zu lassen, wann und welche Kleidungsstücke heute ausgesucht werden dürfen und dass T-Shirts leider nicht am nächsten Tag getauscht werden können. „Ich schreibe einen Brief an Ihren Vorgesetzen!“, sagte ein Vater Alina letzte Woche halb im Scherz, als er keine passende Hose fand.

Umso großartiger ist es, dass wir bei genau diesem Vater und seiner Familie gestern zum Mittagessen eingeladen wurden. Einladungen zum zuckersüßen Tee und zum Essen sind ein wunderbares Mittel, um eben jenen Kontakt auf Augenhöhe (wieder) herzustellen, und wir kamen schon mehr als einmal in den Genuss. Im Schneidersitz auf den Matratzen wurden bei übersetzen Witzen und viel Gelächter gefüllte Teigfladen, bunter Salat und Reistaschen gereicht. Man konnte sich eigentlich schon sattsehen, aber was hätte man dann verpasst!

 

 

 

Die Bilder zeigen den Vorteil von griechischen Camps. In dieser ab und zu recht grauen Jahreszeit steht in diesen Wochen die Olivenernte an, an der sich alle beteiligen können. Körbeweise werden sie hier gepflückt und in den Zimmern verarbeitet - wie genau man sie einlegt, müssen wir noch erfragen. Und wer weiß, vielleicht essen wir dann in ein paar Tagen unsere Oliven wie in einer eigenen Taverne.

Den engsten Kontakt zu Campbewohnern haben wir während des Unterrichts. Alina teaches English for women, beginner level, und hat gerade einen Deutschkurs für Frauen eröffnet, die sich in Miras Kurs nicht zu den Männern getraut haben. Diese Art von Scham fällt im sonstigen Alltag kaum auf, aber da das Angebot von den Damen begeistert angenommen wurde, übersehen wir wohl noch einige kulturelle Unterschiede. Grundsätzlich gibt es eine riesige Motivation, Englisch und Deutsch zu lernen, und da wir gleichzeitig von einem jungen Syrer die Grundlagen in Arabisch lernen dürfen, wissen wir, wie mühselig ein neues Alphabet sein kann. Im Deutschunterricht sitzen die Familienmitglieder von schon in Deutschland Aufgenommenen und schütteln den Kopf über „Schön, dich kennenzulernen“ (obwohl das Arabische auch nicht gerade als sparsame Sprache durchgeht, finden wir). Da die jugendlichen Schüler sehr gutes Englisch sprechen, werden Miras Erklärungen der deutschen Grammatik von ihnen für die älteren Schüler ins Arabische übersetzt und deren Nachfragen wieder zurück ins Englische. Aller Köpfe schwirren danach! Alina hat im Englischkurs die besondere Herausforderung, dass die Frauen nur Arabisch sprechen, und erklärt bitte mal „my son’s  name is xxx, but my sons‘ names are xxx“ pantomimisch.

So viel zu unserem "Arbeitsleben". Außerhalb des Camps hat sich bei uns auch einiges getan:

 

Am vergangenen Sonntag sind wir in unsere eigene Wohnung im Norden des Stadtzentrums gezogen. Sie ist nicht nur ganz entzückend von der AirB&B-Vermieterin eingerichtet worden, sondern bietet auch einen fantastischen Blick vom Minibalkon auf das Wasser. Von hier aus lernen wir jetzt durch vormittägliche Spaziergänge Thessaloniki als Bewohner kennen und brauchen zum Camp mit dem Bus nur noch 15 Minuten. Einziger Nachteil: kein WLAN (oder ist es vielleicht doch ein Vorteil?). Mails, Chats und Blogs werden jetzt in den Cafés der Stadt beantwortet und formuliert und wir bitten um euer Nachsehen, wenn es mal ein bisschen dauert!

 

 

 

 

Ganz so schnell konnte uns Familie Stier aber trotzdem nicht loswerden und so sind wir am Umzugstag noch mit ihnen auf eine Wanderung losgezogen. Und da steht man plötzlich nach 45-minütiger Fährt in einem nach Honig duftenden Pinienwald an der Klippe zum durchsichtigen, türkisfarbenen Kristallwassee und beobachtet vorbeischwimmende Delfine - eine klassische Oktoberszenerie eben.

 

 

Und hier sind zum Schluss noch ein paar Impressionen aus der Stadt, die wir für die nächsten Wochen unser Zuhause nennen dürfen: